Die bleiche Totevon Mario Sempf (Historiker/Autor)

Bevor man die Gewölbe des Sophienkellers betritt, muss man einen mysteriösen Brunnen passieren:

Hörst Du es auch? Das leise Röcheln? Da, jetzt! Da ist es wieder, das Jammern und klagende Wimmern. Kommt es etwa aus dem Brunnen? Oder ist es gar ein Schmatzen, wie bei den angefaulten Untoten? Kaut da jemand etwa an seinem Gewand und will die Lebenden mit ins Grab ziehen? Dann gib bloß Acht auf Dich!

Da unten, wer mag das sein? Zu wem gehören die bleichen Knochen und die zerfetzten Kleider?

Nimm Dir etwas Zeit, dann wirst Du von der tragischen Lebensgeschichte erfahren. Und wenn es Dir Tränen in die Augen treibt, sag nicht, niemand hätte Dich vorher gewarnt!

Magdalena Sibylla von Rochlitz

Magdalena Sibylla von Rochlitz

Die Geschichte der bildschönen Magdalena Sibylla gilt als der fatalste Ausrutscher in der Geschichte des sächsischen Hofes.

Ihr turbulentes Leben und noch mehr ihr rätselhafter Tod mit nur 19 Jahren umgibt ein dunkles Geheimnis.

Was man sich da erzählt ist absonderlich, grauenhaft, unfassbar. Lüfte nun den grauen Schleier, der über allem liegt – auch über diesen alten Mauern hier und lies:

Durch ihre kokette Art machte Magdalena bald sämtliche Männer am Dresdner Hof liebestoll. Sie galt als besondere Frucht eines aufregenden Liebesabenteuers. Mit kaum 17 Jahren kam sie als Gesellschaftsdame an den Hof. Wir tauchen ein in die opulente Barockzeit und schreiben das Jahr 1691. Und ja, sie wusste ihre körperlichen Vorzüge sofort in Szene zu setzen, und wie! Besonders der schlaksige Johann Georg konnte fortan kein Auge mehr von ihr lassen. Ihn um den kleinen Finger zu wickeln sollte ihr darum ein Leichtes sein. Um den in Liebesdingen unerfahrenen Grünschnabel war es im Handumdrehen geschehen. Vollkommen blind in seinem Liebestaumel begann Johann Georg bereits nach kurzer Zeit kostbare Schätze und Güter an seine Angebetete zu verschenken. Das spätere Schloss Pillnitz sollte dazu gehören. Er verschenkte Soldaten wie geschnitzte Schachfiguren an Kaiser Leopold I, 12000 immerhin, nur, damit dieser seine Geliebte in den Adelsstand erhob. Fortan führte die Schöne den klangvollen Namen „Magdalena Sibylla von Rochlitz“. Die Eltern und vor allem der kleine ungestüme Bruder August schnaubten vor Groll und Ratlosigkeit. Und das zu Recht. Derartig skandalöses hatte es zuvor noch nie am Dresdner Hof gegeben!

Doch es kam wie es kommen musste: der Tod klopfte an die Tür. Hässlich und gnadenlos. Endgültig. Er nahm die schöne Sibylla mit, ganz eilig und unerwartet. Die Pocken rafften die junge Dame dahin. Gelbe Flüssigkeit soll aus ihrem Leichnam geflossen sein. Betäubt vor Schmerz und Verlust küsste Georg seine Geliebte am Sterbebett. Es sollte für ihn der Kuss des Todes werden, sein letzter. Keine drei Wochen später verstarb auch er an der gleichen ansteckenden Seuche. Welch entsetzliches Schicksal!

Es schlug die Stunde des kleinen Bruders. Als „der Starke“ sorgte August schnell für Aufsehen an den europäischen Adelshäusern. All die im Liebesrausch verschenkten Güter holte er sich zurück. Dabei ging er äußerst rücksichtslos vor – vielleicht hatte er auch einfach nur seine Samthandschuhe im Schieber vergessen! Ein schrecklicher Verdacht veranlasste ihn außerdem den Sarg der schönen Sibylla öffnen zu lassen. Schlimme Gerüchte kochten inzwischen hoch. Sie, die Femme Fatale, eine Hexe, ja das sei sie gewesen! Eine obskure Hexe! Und was das modrige Holz im Innern offenbarte war der reinste Hexenhokuspokus – versteckte Edelsteine dienten als Schutzzauber vor bösen Geistern. Vor allem ein geheimnisvolles Säckchen erregte die Aufmerksamkeit der Hexenriecher. Die Tote trug es vor der Brust. Es enthielt die geflochtenen Schamhaare des Kurfürsten Johann Georg. Gegen diesen Hexenspuk gedachte August unerbittlich und gnadenlos vorzugehen.

Nahezu einhundert Bedienstete der einstigen Angebeteten mussten bei dem nachfolgenden Hexenprozess ihren Blutzoll leisten. Manch einer überlebte die Folter nicht! Auf dem Gut fanden sich außerdem unter einem Küchenstuhl angenagelte Fledermausflügel. Allein dieser Fund reichte für den Scheiterhaufen.

Die tote Sibylla ließ August kurz darauf irgendwo vor der Festungsmauer achtlos wie Müll verscharren, auf dass sie dort in Gesellschaft von Würmern und Käfern schändlich verrotten möge. Der genaue Ort ist bis heute unbekannt. Oder?!

Mario Sempf, Historiker und Autor


zurück zur Geschichte des Sophienkeller